Bei Radprofi Marcus Burghardt läuft es nach Holperstart rund
Der in Zschopau geborene Edelhelfer im Team Borahansgrohe peilt seine zwölfte Tour de France an. Die Vorzeichen stehen besser als im Vorjahr.
VON THOMAS PRENZEL
CHEMNITZ - Mit seinen 37 Jahren hat Marcus Burghardt im Radsport schon einiges erlebt. Dass der gebürtige Zschopauer im Vorjahr von seinem Rennstall Bora-hansgrohe nicht für die Tour de France nominiert wurde, gehörte eher zu den nicht so schönen Erfahrungen des ehrgeizigen Pedaleurs, der beim RSV Venusberg bei Trainer Klaus Fischer sein Handwerk im Metier erlernte. Doch für 2021 stehen die Vorzeichen besser. Denn der damalige Bora-Kapitän und Tour-Vierte Emanuel Buchmann verzichtet wie Teamkollege Maximilian Schachmann dieses Jahr auf die Frankreich-Schleife. Er bewertet den Giro d‘Italia mit zehn Bergetappen (davon acht Bergankünfte) als deutlich besser geeignet für seine Qualitäten als Kletterer. Zudem will Buchmann – wie Schachmann auch – bei Olympia in Tokio fahren. Das 234 Kilometer lange Straßenrennen steigt nur acht Tage nach der Zielankunft auf dem Champs-Élysées. Und am Fuße des Fuji-Berges, der höchsten Erhebung Japans, wartet ein extrem schwerer Kurs mit 4865 Höhenmetern auf die Rad-Asse.
Buchmanns Jahresstrategie spielt jedenfalls auch Marcus Burghardt in die Karten, obwohl mit dem niederländischen Neuzugang Wilco Kelderman, 2020 Gesamtdritter beim Giro, oder Tour-Etappensieger Lennart Kämna ähnlich ambitionierte Fahrer den deutschen Rennstall zur Tour de France anführen sollten. Für Edelhelfer Marcus Burghardt wäre es die zwölfte Teilnahme am Rad-Heiligtum der Franzosen, das diesmal trotz Pandemie wie gewohnt im Juni und Juli über die Bühne gehen soll. „Dieses Jahr wird das Positionsfahren bei der Tour sehr wichtig sein. Damit sind die Chancen größer, dass ich eingesetzt werde. Bei Mailand-Sanremo habe ich gezeigt, dass ich das kann“, sagt Burghardt. Er glaubt daran, dass er Ex-Weltmeister Peter Sagan einen guten Begleitschutz im Peloton geben und am Ende in die Position für den Schlussspurt bringen kann. „Ich denke, dass mir Peter da vertraut.“
Bei der Tour de France ab 26. Juni stehen diesmal relativ wenige Etappen im Gebirge und mehr Zeitfahren an. Bis es soweit ist, steigt zunächst am Sonntag mit Lüttich-Bastogne-Lüttich der letzte Ardennen-Klassiker – diesmal ohne Burghardt. Der 1,89 Meter große Wahl-Bayer setzt auf ein gut dosiertes Programm, fährt ab Dienstag die Tour de Romandie und später die Tour de Suisse. Nach der möglichen Tour de France winkt auch noch die WM in Flandern, jener Region in Belgien, die Burghardt bestens von den geliebten Klassikern kennt. Der WM-Kurs führt allerdings nur über das Gebiet des „Pfeil von Brabant“. Den Klassiker hatte in der Vorwoche der Brite Thomas Pidcock (Ineos) gewonnen. Burghardt: „Es gab bereits ein Gespräch mit dem Bundestrainer, in dem ich ihm meine Ambitionen für die WM mitgeteilt habe. Bis dahin ist aber noch viel Zeit.“
Was alles passieren kann, gerade in diesen Pandemie-Zeiten, hat der Profi und zweifache Familienvater in dieser Saison erlebt. Im Dezember bremsten den gebürtigen Zschopauer Knieprobleme aus. Erst im neuen Jahr zum Teamtreffen konnte er mit seinen Kollegen auf dem Rad die ersten Kilometer abspulen. Doch Mitte Januar kam es am südlichen Gardasee zu einem folgenschweren Autounfall, als ein SUV in eine siebenköpfige Bora-Trainingsgruppe raste. Kelderman, Andi Schillinger und Rüdiger Selig erlitten Frakturen bzw. Gehirnerschütterungen. Burghardt selbst kam mit dem Schrecken sowie einer Hand- und Fußverletzung ohne Brüche davon. „Als die Sache abgeklungen war, habe ich ein Camp auf Mallorca eingelegt, um mich trotz Trainingsrückstandes in Form zu bringen. Zum Glück hat es geklappt. Obwohl ich Ende Februar bei einem Rennen in Belgien erneut gestürzt bin, zähle ich dieses Frühjahr zu den besten der letzten Jahre“, blickt der Profi positiv voraus.
Sein 14. Rang bei der Flandern-Rundfahrt erfährt aufgrund der Vorgeschichte noch eine Aufwertung. So musste der Erzgebirger mit 15 seiner Bora-Kollegen im Vorfeld der „Ronde“ Quarantäne-Auflagen erfüllen, nachdem Teamkollege Matthew Walls positiv auf Corona getestet wurde. Statt umfangreicher Streckenbesichtigung konnte Marcus Burghardt das Rennen nur auf der Rolle vorbereiten. Aber was tut man nicht alles für das große Ziel. Mit dem zwölften Tour-de-France-Start könnte er in der deutschen Rekord-Teilnehmerliste auf Position drei vorrücken. Nur Jens Voigt (17-mal) und Erik Zabel (14-mal) wären dann noch öfter die Tour gefahren.
Bildtext: Bora-Radprofi Marcus Burghardt beim Klassiker „Dwaars door Vlandeeren“ am Taaienberg. Hinter dem gebürtigen Erzgebirger kämpft Weltmeister Julian Alaphilippe mit dem Kopfsteinpflaster.FOTO: MARIO STIEHL/IMAGO