Freie Presse

 

„Ich hatte eine perfekte Karriere“

 

Der Zschopauer Radprofi Marcus Burghardt hat seine Laufbahn beendet. Eine komplizierte Handverletzung zwang den 38 Jahre alten Sachsen zu der Entscheidung. Dem Metier will er treu bleiben.

 

Von Thomas Prenzel

 

Samerberg - Es war jener 24. Juli 2008, an dem Marcus Burghardt seinen Platz in der Geschichte des Profiradsports endgültig gefunden hatte. Auf der 18. Etappe der Tour de France nach Saint-Étienne setzte der damals 25-Jährige sein in Venusberg und Chemnitz erlerntes Handwerk gut um. Der 1,89 Meter große Burghardt spielte im Spurt seine längeren Hebel gegen den 13 Zentimeter kleineren Carlos Barredo geschickt aus, fuhr hauchdünn vor dem Spanier vom Team Quick Step über die Linie. Danach kannten der Jubel und der Trubel keine Grenzen. „Es ist unvorstellbar, was nach so einem Tag alles auf einen einströmt. Gleich zweimal ging es aufs Podest, für die Etappe und die Auszeichnung als kämpferischster Fahrer. Meinen Teil der Siegprämie bekommt übrigens mein Junior-Team in Venusberg“, schrieb der gebürtige Zschopauer damals in einem Tour-Tagebuch für die „Freie Presse“.

 

Knapp 14 Jahre später zieht Marcus Burghardt nun einen Schlussstrich unter seine Karriere. Der Sachse, der mit seiner Frau Maria und den beiden Töchtern in Samerberg lebt, verkündete seinen Rücktritt – zwangsläufig. Eine schwere Verletzung, die er im Vorjahr bei der Polen-Rundfahrt erlitten hatte, durchkreuzte seine Pläne, weiterhin als Helfer für die Kapitäne eines Profirennstalls bei den großen Rennen im Wind zu fahren.

Anfang des Jahres hatte der zuletzt beim Team Bora-hansgrohe angestellte Pedaleur bereits gemerkt, dass Fortschritte in der Reha nur zäh zu erkennen waren („Freie Presse“ berichtete). „Ich war eigentlich davon überzeugt, dass ich viel schneller wieder fit werde. Aber da bin ich wohl nicht realistisch genug gewesen“, musste sich Burghardt nun eingestehen. Im August 2021 hatte er sich in Polen bei einem Sturz 13 Kilometer vor dem Ziel einen komplizierten Trümmerbruch an Kahnbein und Speiche sowie einen Bruch der Elle zugezogen. Mit dem Rücktritt hatte der Sachse lange gehadert. Aufgeben war noch nie eine Option für den elfmaligen Tour-de-France-Starter. Doch die schleppende Heilung machte ihm einen Strich durch die Rechnung.

 

In jedem Fall will Marcus Burghardt dem Metier treu bleiben: „Ich finde, dass es an der Zeit ist, den Fans etwas zurückzugeben.“ Konkrete Pläne möchte der Wahl-Bayer in den nächsten Wochen bekanntgeben. Fest steht, dass er im September eine besondere Radsportveranstaltung organisieren wird, bei der man auch die Gelegenheit hat, mit dem mehrmaligen Etappensieger der Tour de Suisse zusammen zu fahren.

 

Gut 17 Jahre war Burghardt als Radprofi präsent. Als Elfjähriger saß er das erste Mal in Venusberg auf einem Rennsattel, danach wechselte er ans Sportgymnasium Chemnitz. Über das Juniorteam von Wiesenhof gelang der Sprung ins Profilager zu T-Mobile. Zur Verabschiedung hatte er damals viele Wegbegleiter ins Einsiedler Brauhaus eingeladen, um sich bei ihnen für die Unterstützung zu bedanken. Seine Bodenständigkeit war überhaupt kaum zu übertreffen. Für den Nachwuchs sammelte er als Profi mitunter bei den großen Rennen Trinkflaschen ein, um sie an die Talente daheim weiterzureichen. Außerdem spendete er Geld für ein Prämiensystem, das bei guten Leistungen zur Anwendung kam. Und er besorgte Helme, Sonnenbrillen und Trikots für die Radsportler in Venusberg, die bei Klaus Fischer, seinem Jugendtrainer, ihrem großen Vorbild nacheiferten.

 

Klaus Fischer hatte seinem Meisterschüler auch mit auf den Weg gegeben, was später beim Tour-Etappensieg im Duell mit Barredo eine wichtige Rolle spielte. „Eine Straßenseite zumachen, damit man nicht immer auf beiden Seiten beim Belauern nach hinten schauen muss.“ Dies gehört zur Grundtaktik im Sprintverhalten, die Burghardt beherzigte. Klaus Fischer kennt aber weitere Vorzüge seines Schützlings: „Er war stets ein fleißiger Trainierer. Und er hatte immer einen siebenten Sinn. Wenn andere in einen Sturz verwickelt wurden, war Marcus meist woanders.“

 

Nur eben nicht im August des Vorjahres in Polen. Doch hängen bleiben werden letztlich die großen Erfolge. Als Edeldomestike, egal, ob in den Teams Columbia-Highroad, BMC-Racing oder Bora-hansgrohe, verhalf er Radsportgrößen wie Peter Sagan, Cadel Evans oder Mark Cavendish zu ihren Siegen auf großen Rundfahrten oder Eintagesklassikern. So konnte Evans 2011 als erster Australier die Tour gewinnen. Auf dem gnadenlosen Kopfsteinpflaster von Paris–Roubaix bewies Burghardt 14-mal seine Rennhärte wie auch viele Male bei den Frühjahrsklassikern in Flandern, wo er 2007 bei Gent–Wevelgem seinen ersten Profisieg landete. 2017 wurde er in Chemnitz, seiner Heimat, Deutscher Straßenradmeister. Und schon jetzt ist Marcus Burghardt trotz des jähen Endes überaus zufrieden mit seiner Laufbahn: „Ich hatte eine perfekte Karriere.“

 

Bild:

Klaus Fischer

Trainer von Marcus Burghardt in Venusberg

 

Foto: Kristin Schmidt

 

Bildtext: Marcus Burghardt hat sein Rad in die Ecke gestellt. Vorstellbar ist, dass er künftig Reisen für Hobbyradler veranstaltet. Foto: Julian Hartwig/Cleat Magazin

 

Bildtext: Viele Jahre das täglich Brot als Wasserträger: Marcus Burghardt reicht Peter Sagan, hier Führender der Tour de France 2018, eine Trinkflasche. Foto: Imago

 

Bildtext: Der größte Moment: Marcus Burghardt hat sich am 24. Juli 2008 mit dem Etappensieg bei der Tour für die Radsporthistorie unsterblich gemacht. Foto: Imago

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